Beschlossen auf dem Gründungskongress der Partei der Europäischen Linken am 8. und 9. Mai 2004 in Rom
In Europa keimt neue Hoffnung auf. Eine neue Vision inspiriert immer mehr
Europäer und vereint sie zu großen Aktionen des Widerstandes gegen die Durchsetzung
einer kapitalistischen Einbahnstraße, mit der die Menschheit in die Falle neuen
sozialen und kulturellen Rückschritts gelockt werden soll. Die Situation der
Völker, der sozialen Akteure und des einzelnen Menschen ist von Unsicherheit,
Ungewissheit und ungeschützten Arbeitsverhältnissen geprägt. Neuer, starker
Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung ist im Entstehen. Es ergeben
sich neue Möglichkeiten, das Leben der Männer und Frauen zu verändern, die
von den Katastrophen der kapitalistischen Globalisierungspolitik mehr und mehr
betroffen sind.
Die neuen Formen der Macht führen weltweit zu Krisen der Nationalstaaten, der
Bündnissysteme und der nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Weltordnung.
Die Theorie des permanenten Krieges, wie sie gegenwärtig in der Bush-Doktrin
zum Ausdruck kommt, der Strudel terroristischer Gewalt, die von diesem Krieg
genährt wird, lässt Ungleichheiten wachsen und das Feld für Demokratie schrumpfen.
Für uns ist Europa in der internationalen Politik ein Raum für das Wiedererstehen
des Kampfes um eine andere Gesellschaft. Ihre Ziele sind Frieden und die Transformation
der gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnisse. Wir streben eine Gesellschaft
an, die über die kapitalistische, patriarchale Logik hinausgeht. Unsere Ziele
sind Emanzipation des Menschen, Befreiung der Frauen und Männer von Unterdrückung,
Ausbeutung und Ausgrenzung in jeglicher Form.
Wir fühlen uns den Werten und Traditionen des Sozialismus, des Kommunismus
und der Arbeiterbewegung, der feministischen Bewegung und der Geschlechter-Gleichheit,
der Umweltbewegung und einer nachhaltigen Entwicklung, des Friedens und der
internationalen Solidarität, der Menschenrechte, des Humanismus und des Antifaschismus,
des progressiven und liberalen Denken im nationalen und internationalen Rahmen
verpflichtet.
Für uns bestehen Rolle und Aufgabe der politischen Linken in Europa darin,
einen Beitrag zur Herstellung eines breiten sozialen und politischen Bündnisses
für eine radikale Veränderung der Politik zu leisten, indem wir konkrete Alternativen
und Vorschläge für diese notwendige Transformation der gegenwärtigen kapitalistischen
Gesellschaften entwickeln. Darin sehen wir unsere Verantwortung und die Möglichkeit,
all jene anzusprechen, die sich für eine gerechtere Gesellschaft als Voraussetzung
für ein selbstbestimmtes Leben des Individuums einsetzen. Wir wollen linke
Politik dauerhaft als selbständiges, selbstbewusstes politisches Projekt etablieren,
das zur Durchsetzung von Solidarität und Demokratie, von sozialen und ökologischen
Alternativen beiträgt.
Aus diesem Grunde werden die Europäische Union und darüber hinaus der ganze
europäische Kontinent - neben der traditionellen politischen Ebene der Nationalstaaten,
Regionen, Gemeinden und nicht abgeschottet von der internationalen Entwicklung
- zunehmend zu einem wichtigen Raum für alternative Politik.
Daher sehen wir die weltweite Bewegung für eine andere Welt, ihren wachsenden
Austausch sowie ihren Einfluss innerhalb und auf die traditionellen sozialen,
gewerkschaftlichen, feministischen, ökologischen und demokratischen Bewegungen
als neue Kräfte im Konflikt für diese Veränderung. Alle diese Bewegungen setzen
dem "privaten Raum" der Weltmächte einen "öffentlichen Raum" entgegen, in dem
verschiedene Akteure Grundrechte einfordern - Frieden, Demokratie, soziale
Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichstellung der Geschlechter und Achtung vor der
Natur. Die politische Linke gehört dazu. Das verleiht der Politik der Transformation
neue Kraft.
Die ganz eigenen kulturellen, politischen Erfahrungen und sozialen Kämpfe in
den europäischen Ländern haben das Wesen des europäischen Sozialmodells geprägt.
Wir haben diese politischen und kulturellen Wurzeln im Auge, nicht der Marktwert,
der ihm heute durch die Politik von Maastricht und die Beschlüsse der Europäischen
Zentralbank zugeordnet wird.
In Europa, in allen unseren Ländern leiden die Menschen heute unter der Politik
des globalisierten Kapitalismus, den die Regierungen im Interesse des Großkapitals
und seiner Lobbys durchsetzen. Diese untergräbt die Solidarität und die sozialen
Errungenschaften, die in schweren Kämpfen erreicht wurden. Wir erleben einen
Generalangriff auf die Rentensysteme, den Abbau und die Privatisierung der
Sozialversicherung, die Einführung der Marktgesetze für solch wesentliche öffentliche
Dienstleistungen und Bereiche wie Gesundheit, Bildung, Kultur, für Gemeinschaftsgüter
wie Wasser und andere Naturressourcen, die Deregulierung des Arbeitsmarktes,
vor allem die Ausbreitung ungeschützter Arbeitsverhältnisse. Gegen Gewerkschaften
wird zunehmend härter vorgegangen, Immigranten werden kriminalisiert.
Alles - von der Arbeit bis zum Alltagsleben der Menschen - wird zur Ware. Im
Europa von heute nehmen Arbeitslosigkeit, ungeschützte Arbeitsverhältnisse,
Militarisierung nach außen - wie im Balkan-, Afghanistan- und Irak-Krieg demonstriert
- und nach innen durch repressive, Freiheit raubende Gesetze gegen jene, die
sich der neoliberalen Politik entgegenstellen, immer mehr zu. Das löst Politikverdrossenheit
in wachsenden Teilen der Gesellschaft, Kämpfe unter den Armen aus, lässt Populismus,
Rassismus und Antisemitismus wieder aufleben.
Das sozialdemokratische Konzept des "Dritten Weges" ist in Europa gescheitert,
weil er dieser Entwicklung nichts entgegengesetzt und sie damit befördert hat.
Das schafft neue Möglichkeiten und erhöht zugleich die Verantwortung für die
Linke, die die gegenwärtige Welt verändern will. Aber wir können nicht auf
den traditionellen Weg des 20. Jahrhunderts zurückkehren, der den Kräften mit
revolutionärer Inspiration große Erfolge, aber auch große Niederlagen und Tragödien
gebracht hat.
Um die Gesellschaft zu verändern, müssen wir an breiterer Front vorgehen. In
Europa ist die Schaffung einer alternativen, radikalen, ökologischen und feministischen
Linken die Herausforderung der neuen Phase, die jetzt beginnt. Der plurale
Charakter der Bewegungen kann jetzt von dieser neuen politischen Kraft durchdrungen
werden, denn wir wollen ein neues Verhältnis von Gesellschaft und Politik entwickeln.
Wir wollen den Entwurf für ein anderes Europa vorlegen, der EU einen anderen
Inhalt geben: unabhängig von der Hegemonie der USA, offen zum Süden dieser
Welt, ein alternatives soziales und politisches Modell zum Kapitalismus, aktiv
gegen wachsende Militarisierung und Krieg, für Umweltschutz und die Achtung
der Menschenrechte, einschließlich der Rechte auf sozialem und wirtschaftlichem
Gebiet. Wir fordern das Recht auf Staatsbürgerschaft für alle Menschen, die
in Europa leben.
Wir wollen ein Europa, das frei ist von der antidemokratischen und neoliberalen
Politik der WTO und des IMF, das die NATO, ausländische Militärbasen und jegliches
Modell einer europäischen Verteidigungsarmee ablehnt, die den Wettlauf des
Militärs und das Wettrüsten in der Welt weiter anheizt. Wir wollen ein Europa
des Friedens und der Solidarität, frei von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen,
ein Europa, das Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfragen ablehnt..
Das betrifft besonders den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, der
auf der Grundlage der Beschlüsse der UNO geregelt werden muss.
Wir, die linken politischen Kräfte dieses Kontinents, wollen mithelfen, dass
eine neue Kraft für Veränderung entsteht.
Wir, Parteien und politische Organisationen, die sich für kommunistische, sozialistische,
demokratische, ökologische und feministische Zielstellungen, gegen Neoliberalismus
und für soziale Veränderungen einsetzen, wollen, dass ein neues politisches
Subjekt entsteht: die Partei der Europäischen Linken (EL).
Wir wollen diese Hoffnung verkörpern, die uns in die Lage versetzen wird, die
Fragen der Globalisierung, des Weltfriedens, der Demokratie und der sozialen
Gerechtigkeit, der Gleichstellung der Geschlechter, eines selbstbestimmten
Lebens für Menschen mit Behinderungen, einer nachhaltigen, ausgewogenen Entwicklung,
der Achtung der verschiedenen kulturellen, religiösen, ideologischen oder sexuellen
Orientierungen auf neue Weise anzugehen.
Wir sehen die Notwendigkeit einer tiefgreifenden sozialen und demokratischen
Transformation Europas. Ja, die Zeit ist gekommen, den Kampf gegen das Dogma
von der sakrosankten Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, gegen die Macht
der Finanzmärkte und multinationalen Konzerne zu verstärken und stattdessen
zu erreichen, dass die Bürger aktiv in eine Politik eingreifen, die in ihrem
Namen durchgeführt wird.
Angesichts von Rezession und wachsender Arbeitslosigkeit müssen die Orientierungen
des Stabilitätspaktes und der Europäischen Zentralbank in Frage gestellt, muss
eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik durchgeführt, müssen soziale Prioritäten
für Vollbeschäftigung und Ausbildung, für öffentliche Dienstleistungen und
mutige Investitionen, darunter in die Umwelt, gesetzt werden. Eine Besteuerung
der Kapitalflüsse ist einzuführen. Andere Prioritäten müssen her, bei denen
der Mensch und nicht das Geld im Vordergrund steht.
Wir wollen uns überall in Europa für größere Rechte der Lohnempfänger am Arbeitsplatz
einsetzen. Die öffentlichen Dienstleistungen halten wir für unverzichtbar,
um das Recht auf gleichen Zugang für jedermann zu Bildung, Wasser, Nahrung,
Gesundheit, Energie und Verkehr zu garantieren. Wir sind für modernisierte,
dezentralisierte und demokratisierte öffentliche Dienstleistungen, um soziale
Rechte für jedermann zu sichern.
In diesem Jahr treten zehn Länder der Europäischen Union bei. Weitere haben
diesen Wunsch geäußert. Aber sowohl in diesen Ländern als auch in den heutigen
Mitgliedstaaten der EU gibt es bedeutende politische und gesellschaftliche
Kräfte, die die Erweiterung mit Vorbehalten oder offener Feindschaft sehen.
Diese Tendenzen verstärken sich dadurch, dass die gegenwärtigen strategischen
Entscheidungen die EU in eine Sackgasse führen.
Die Europäische Linkspartei wendet sich auch den vor allem durch die Transformation
entstandenen Problemen der Länder auf dem Balkan und in Osteuropa zu, die sich
heute außerhalb der EU befinden. Sie stehen vor dem Dilemma, eine selbständige
Entwicklung einzuschlagen oder sich der kapitalistischen Integration Europas
anzuschließen, um all die Konflikte zu lösen, die in Gegenwart und Zukunft
auf ihre Gesellschaften zukommen. Die EL ist bereit, mit allen demokratischen
Kräften dieser Länder für Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit, für
soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie für die Stärkung der demokratischen
Institutionen zusammen zu wirken.
Wir wollen erreichen, dass die gewählten Gremien - das Europäische Parlament
und die nationalen Parlamente sowie repräsentative EU-Gremien wie der Wirtschafts-
und Sozialausschuss oder der Ausschuss der Regionen mehr Handlungs- und Kontrollrechte
erhalten. Wie immer wir insgesamt zu dem gegenwärtig debattierten Verfassungsvertrag
stehen mögen, wir wenden uns gegen ein Direktorat der Großmächte. Wir akzeptieren
auch ihren Wunsch nicht, uns ultraliberale Wirtschaftskriterien und eine Militarisierung
aufzuzwingen, die zu wesentlichem sozialem Rückschritt führt.
Wir setzen uns unablässig dafür ein, die Möglichkeiten für das Handeln, für
die Teilhabe und Kontrolle der Bürger auf allen Ebenen und in allen Phasen
der europäischen Integration auszubauen.
Das Kernproblem der Krise der Europäischen Union ist die Frage der Demokratie.
Jahrzehntelang ist die Europäische Union von oben aufgebaut worden - unter
Missachtung der großen Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen, ohne und oft gegen
das Volk.
Aber es zeichnen sich bereits Veränderungen ab. Die großen Kämpfe der sozialen
Bewegungen, der Gewerkschaften, der Arbeiter und Bürger gegen den Krieg verändern
die Lage. In nur wenigen Jahren haben sie zu einem breiten Zusammenschluss
für Frieden, gleiche Menschenrechte und Achtung vor unserem Planeten geführt.
Als politische Kräfte der sozialen Transformation wollen wir zu dieser neuen
Dynamik beitragen, die gegen die neoliberale Politik gerichtet ist. Die Sozialforen
sind wichtige Gelegenheiten für Debatte und Auseinandersetzung, für die Entwicklung
von Alternativen zum heutigen neoliberalen Europa durch die Völker und Bürger.
Die sozialen Bewegungen und ihre Kämpfe haben ihre eigene Dynamik, ihre selbständige
Analyse, ihre Vorschläge und Initiativen. Wir sind dafür, die Rechte von Arbeitern
und Gewerkschaften gegen Diskriminierung jeglicher Art zu verteidigen, zugleich
aber für die Erweiterung von Arbeiterrechten wie der Rechte für Arbeitslose
und Beschäftigte in ungesicherten Arbeitsverhältnissen, für die Erweiterung
der Demokratie am Arbeitsplatz und im Wirtschaftsleben auf allen Ebenen, darunter
auf der europäischen Ebene, zu kämpfen.
Wir setzen uns für eine alternative, eine sozial-ökologische und nachhaltige
Entwicklung, für einen Umbau der Wirtschaft ein, der auf dem Schutz von Umwelt
und Klima, auf dem Grundsatz der Vorsorge, dem Einsatz umweltfreundlicher Technologien,
auf lebenslanger sozialer Solidarität, der Schaffung neuer Arbeitsplätze und
der Unterstützung benachteiligter Regionen der Erde beruht.
Wir wollen, dass der Ausschuss der Regionen sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss
als wesentliche Institutionen einer demokratischen Regionalpolitik der EU stärker
an der Entscheidungsfindung der europäischen Institutionen beteiligt werden.
In der EU stoßen Interessengegensätze aufeinander. Uns gibt das neuen politischen
Raum für den Klassenkampf zum Schutz der Arbeiterinteressen, der Demokratie
sowie der europäischen Gesellschaft mit ihren Organisationen und Institutionen,
darunter das Europäische Parlament.
Die EL verpflichtet sich, dazu beizutragen, dass die großen Veränderungen,
die sie anstrebt, Realität werden, was zu einer ständigen Vertiefung von Frieden,
Demokratie und sozialer Gerechtigkeit führen wird.
Kämpfen wir gemeinsam für eine neue Gesellschaft, für eine Welt, frei von Ausbeutung
und Krieg.
Wir sagen heute: Eine andere Welt ist möglich. Die Zukunft ist hier. Es gibt
kein Ende der Geschichte.